Margarete Schütte-Lihotzky in ihrer Wohnung, 1981, Foto: Margherita Spiluttini
 
 

Jugend und Ausbildung

 
Grete Lihotzky wurde am 23 Jänner 1897 in Wien, damals Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie, geboren. Mit ihren Eltern Erwin Lihotzky und Julie Bode und ihrer älteren Schwester Adele wuchs sie im Haus ihres Großvaters Bode in Wien Margareten in einer bürgerlich-liberalen Atmosphäre auf.

Nach dem Schulabschluss und 2 Jahren Ausbildung an der K.K. Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt bestand sie im Herbst 1915 die Aufnahmsprüfung für die Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst) in Wien, die mit Lehrern wie Oskar Kokoschka, Kolo Moser, Heinrich Tessenow, Oskar Strnad, Josef Hoffmann und Anton Hanak, eine der führenden Kunstschulen in Europa war.
Grete Lihotzky besuchte die Allgemeine Formenlehre bei Prof. Dr. Oskar Strnad, anschließend die Fachklasse für Architektur bei Strnad. Daneben war Heinrich Tessenow in Baukonstruktionen ein wichtiger Lehrer. Nach ihrer Ausbildung von 1915-1918 schloss sie ein Jahr, bis Juni 1919, als hospitierende Studentin bei Strnad an.

1916/17 war an der Schule ein Wettbewerb zum Thema „eine Wohnküche in der äußeren Vorstadt“ ausgeschrieben. Grete Lihotzky, die einzige weibliche Teilnehmerin, gewann mit ihrem Projekt, einer zweigeschossigen Arbeiterwohnungsanlage um einen quadratischen Hof, den Max Mauthner-Preis, obwohl es eine ihrer ersten Architekturarbeiten war. Die Wohnungen, bestehend aus Vorraum mit Waschnische, Toilette, zwei Schlafzimmern, der Wohnküche und dem Abwaschraum, waren bis ins kleinste Detail durchdacht.
 
Frauen waren vor 1919 weder an der Technischen Hochschule noch an der Akademie der bildenden Künste in Wien zum Studium zugelassen. Der Besuch der Kunstgewerbeschule war jedoch für Frauen möglich.  Auch an den Architekturklassen von Josef Hoffmann und Heinrich Tessenow gab es erste Studentinnen. Grete Lihotzky war eine der ersten Frauen, die nach Abschluss ihres Studiums 1919 auch in dem Beruf arbeiteten.
 
 

Berufsjahre

 
1922–1924 Grete Lihotzky war im Baubüro des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen angestellt.
 
1926 ging Grete Lihotzky von Ernst May, Stadtrat für Bauwesen, geholt, an das Frankfurter Hochbauamt, wo sie in der Abteilung Typisierung tätig war.
 
1927 heiratete Grete Lihotzky ihren deutschen Architektenkollegen Wilhelm Schütte.
 
1930 wurde Ernst May mit einer Gruppe von Architekten, dabei Margarete und Wilhelm Schütte-Lihotzky, nach Moskau zur Planung neuer Wohnstädte berufen. Margrete Schütte-Lihotzky leitete die Abteilung für Kinderanstalten.
 
1937 verließen das Ehepaar Schütte-Lihotzky die Sowjetunion und reisten nach Paris und London. Im Herbst 1938 übersiedelten sie nach Istanbul. Hier entwarf sie an der Akademie der schönen Künste u.a. Typenprojekte für Dorfschulen und einen Erweiterungsbau für ein Lyzeum in Ankara.
 
Weihnachten 1940 fuhr Margarete Schütte-Lihotzky von Istanbul nach Wien um sich am österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu beteiligen. Ende Jänner, kurz vor ihrer Rückreise, wurde sie in Wien verhaftet. Sie überlebte in Gefangenschaft und erst das Kriegsende 1945 brachte für sie die Befreiung.
 
1946 hielt sie sich ein dreiviertel Jahr in Bulgarien auf.
 
1947 kehrte Margarete Schütte-Lihotzky wieder nach Wien zurück wo sie bis 1969 als selbstständige Architektin arbeitete.  
Mit ihrer großen internationalen Erfahrung in sozialen Bauprogrammen wollte sie sich am Wiederaufbau der Stadt beteiligen. Aus parteipolitischen Gründen (sie blieb Kommunistin und die regierende Wiener Sozialdemokratie war damals strikt antikommunistisch eingestellt) erhielt sie jedoch kaum öffentliche Aufträge in der Nachkriegszeit.
Sie beteiligte sich an internationalen beruflichen Organisationen, nahm an zahlreichen internationalen Kongressen teil, unternahm Studienreisen u.a. nach China, war für Kuba und Berlin für den Kindergartenbau tätig, und engagierte sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit für die Anliegen der Frauen und für die Friedensbewegung. Des weiteren verfasste die Architektin zahlreiche Artikel und hielt viele Vorträge zu Themen der Architektur, besonders zu ihren Anliegen der Verbindung gesellschaftlicher und fachlicher Aspekte.
 
Seit sie das Alter von 80 Jahren erreichte wurde sie von öffentlicher Seite geehrt und mit zahlreichen Preisen und Ehrendoktoraten ausgezeichnet, u.a.:
1978 Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs
1980 Preis der Stadt Wien für Architektur
1993 Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
1997 Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik
zahlreiche Ehrendoktorate und Ehrenmitgliedschaften
 
1993 fand im Museum für Angewandte Kunst in Wien die erste Ausstellung über das Gesamtwerk der Architektin statt.
Gleichzeitig erschien der Werkkatalog „Magarete Schütte-Lihotzky – Soziale Architektur Zeitzeugin eines Jahrhunderts“.
 
Am 18. Jänner 2000, 5 Tage vor ihrem 103. Geburtstag starb die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky in Wien.

Als Margarete Schütte-Lihotzky 1997 ihren 100. Geburtstag feierte, erwähnte sie, 1916 habe niemand geglaubt, dass je eine Frau beauftragt werde, ein Haus zu bauen – nicht einmal sie selbst.